Bei der Förderung und Integration von Schülerinnen und Schülern, die ohne Kenntnisse der deutschen Sprache nach Deutschland gekommen sind, übernehmen die Schulen eine Schlüsselfunktion.
Die Aufgabe von weiterführenden Schulen ist es Bildungsbenachteiligung zu beseitigen und Chancengleichheit zu schaffen. Dieser Grundsatz gilt mehr denn je. Da die eigentliche Annäherung der Kulturen aber im alltäglichen Zusammenleben und –lernen stattfindet, ist es nicht nur die Aufgabe der einzelnen Fachlehrer für das Fach Deutsch Schülerinnen und Schüler aus anderen Kulturen die deutsche Kultur und Sprache nahezubringen.
Die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund erfordert die aktive Mitarbeit aller Beteiligten. Sie ist ein kontinuierlicher und nachhaltiger Prozess, der eine Veränderung der gesamten Institution Schule erfordert.
Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von Integration können folgende Grundsätze des gemeinsamen Unterrichtens von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund gesehen werden:
1. Toleranz üben und kulturelle Vielfalt anerkennen: Die Gemeinschaft der Schülerinnen und Schüler an der Schule wird kulturell vielfältiger. Den unterschiedlichen kulturell und auch religiös geprägten Lebensweisen der neuen Schülerinnen und Schüler muss mit Toleranz begegnet werden, um ein friedliches Miteinander unter allen Beteiligten zu gestalten.
2. Gegenseitiger Respekt und Anerkennung: Respekt ist die Grundlage für einen Dialog zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund „auf Augenhöhe“. Die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung der Leistungen des Anderen bilden die Grundlage eines respektvollen Umgangs zwischen allen Schülerinnen und Schülern.
3. Partizipation und offener Austausch: Integration bedeutet unterrichtliche und soziale Partizipation von Schülerinnen und Schülern in die Schulgemeinschaft. Der lebendige interkulturelle und interreligiöse Dialog fördert diesen Austausch und schafft die Voraussetzung für ein gemeinschaftliches Miteinander.
4. Identifikation und Engagement: Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund sollen die Schule als Ort begreifen, in der sie sich wohl und willkommen fühlen. Das Gefühl, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, ermutigt Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, aktiv an ihrer Schule auf vielfältige Weise mitzuwirken.
Die Idee hinter dem Modell „Internationaler Kurs“ („I-Kurs“) ist das gemeinsame Lernen von Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache, bei gleichzeitiger individueller Förderung.
In der I-Klasse werden die Schülerinnen und Schüler, die ohne Deutschkenntnisse nach Deutschland gekommen sind vorrangig in Deutsch unterrichtet. Die Klasse wird gemäß ihrer Sprachkompetenz in Teilklassen eingeteilt (siehe Einteilung nach Sprachkompetenz) und gemeinsam aber zieldifferent unterrichtet. Wichtig ist hierbei auch der gemeinsame Austausch der Schülerinnen und Schüler untereinander. Getreu dem Motto „Schüler helfen Schüler“ können erfahrenere Deutschlerner ihre Mitschülerinnen und Mitschüler unterstützen, was auch die Eigenständigkeit und Sozialkompetenz stärkt.
Zu Beginn ihrer Zeit im I-Kurs werden die Schülerinnen und Schüler fast ausschließlich im Fach Deutsch unterrichtet. Erst mit zunehmender Zeit und Fortschritten werden sie stückweise in den Fachunterricht entlassen. Relativ früh soll die Übernahme in den Sport- und Kunstunterricht erfolgen. Dies bietet zum einen die Möglichkeit sich bereits mit seiner künftigen Klasse vertraut zu machen und zum anderen sich körperlich und kreativ zu beschäftigen und damit eine Abwechslung im Vergleich zum regulären Unterricht zu haben. Es folgen Fächer wie Englisch, Mathematik, Chemie oder Physik. Zum Abschluss folgt die Übernahme der Schülerinnen und Schüler in die Fächer Geschichte, Politik, Sozialwissenschaften und Deutsch, in denen fundierte Deutschkenntnisse eine Grundvoraussetzung sind.
Sollten Schülerinnen und Schüler nach ihrer Übernahme in eine Klasse noch immer starke Defizite in Deutsch aufweisen, die ein
Unterrichten in einem bestimmten Fach erschweren, ist eine stückweise Übernahme zurück in den I-Kurs jederzeit wieder möglich. Die maximale Verweildauer im I-Kurs sollte aber im Regelfall zwei
Schuljahre nicht überschreiten. Zum Zeitpunkt ihrer Entlassung aus dem I-Kurs sollten die Schülerinnen und Schüler mindestens Stufe B2 laut EU-Klassifikation erreicht haben.
Ziel des I-Kurses ist die vollständige Eingliederung der Schülerinnen und Schüler in den Regelunterricht und die damit verbundene Möglichkeit einen Realschulabschluss zu bekommen.
Unterstütz wird das I-Kurs-Modell durch die drei Säulen Schülerschaft, Lehrerkollegium und ehrenamtliche Arbeit, die im Folgenden genauer beschrieben werden.
Die Einteilung der Lerngruppen in des I-Kurses erfolgt nach der bereits vorhandenen Sprachkompetenz. Eingeteilt werden die Schülerinnen und Schüler in vier verschiedene Teilklassen (Gruppe 1 bis 4), wobei die individuelle Förderung natürlich weiterhin im Vordergrund steht.
Die Teilklasse 1 besteht aus Schülerinnen und Schülern, die neben der deutschen Sprache auch noch das Alphabet lernen müssen, da sie aufgrund ihrer Herkunft eine andere Alphabetisierung erfahren haben. Neben der Sprache muss also auch noch die Schriftsprache erlernt werden. Hier müssen vor allem Materialien aus dem Primarstufenbereich zur Verfügung gestellt werden. Folgt man der Klassifikation der Sprachkenntnisse der EU, stehen diese Schülerinnen und Schüler auf Stufe A0.
Die Teilklassen Gruppe 2 und 3 bestehen aus Schülerinnen und Schülern, die bereits alphabetisiert sind, deren Grundkenntnisse der deutschen Sprache allerdings noch wenig ausgeprägt sind. Meistens stehen diese noch am Beginn ihrer schulischen Ausbildung in Deutschland oder haben aufgrund von sprachlichen Defiziten noch nicht das Sprachniveau, um in absehbarer Zeit in eine Regelklasse übernommen zu werden. Laut EU-Klassifikation stehen diese Schülerinnen und Schüler zwischen den Stufen A1 und B1.
Die Teilklasse Gruppe 4 besteht in der Regel aus Schülerinnen und Schülern, die bereits seit einiger Zeit in der I-Klasse unterrichtet werden und auch schon deutliche Fortschritte im Hinblick auf den Erwerb der deutschen Sprache gemacht haben. Diese werden bereits in einigen Fächern im Fachunterricht unterrichtet und stehen in absehbarer Zeit vor einer Übernahme in eine Regelklasse. Diese Schülerinnen und Schüler stehen zwischen den Stufen B1 und C1 der EU-Klassifikation.
Zwar bedarf die Integrationsarbeit einer zentralen Koordinierung und strategischen Steuerung, trotzdem ist eine gute Zusammenarbeit, sowohl innerhalb der Schülerschaft als auch im Lehrerkollegium eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von Integration.
Der Anteil der Schülerschaft liegt vor allem im Bereich der sozialen Integration. Zugewanderte Schülerinnen und Schüler sollen sich willkommen fühlen und merken, dass man sie gerne in den Klassenverband aufnimmt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vermeidung einer Ghettoisierung. In einem solchen Szenario würden sich die neuen Schülerinnen und Schüler ausgestoßen fühlen und vermehrt unter sich bleiben. Eine gute Möglichkeit diesem Phänomen vorzugreifen ist das Paten-Modell, bei welchem Schülerinnen und Schüler aus älteren Jahrgangsstufen (z.B. achtes bis zehntes Schuljahr) eine Patenschaft für eines der zugewanderten Kinder übernehmen würden. Sie würden damit als Ansprechpartner und Vermittler bei Fragen, Problemen und Streitigkeiten dienen und könnten ihren Paten auch Hilfestellung beim Deutsch-Lernen bieten. Koordiniert würde das Paten-Modell von der verantwortlichen Lehrkraft. In diesem Zusammenhang wären auch regelmäßige Treffen, z.B. in Form einer AG sinnvoll, um sich gezielt über seine Erfahrungen auszutauschen und diese zu evaluieren. Davon würden auch spätere Jahrgänge profitieren, da sich das Modell stetig weiterentwickeln kann.
Eine weitere Möglichkeit die Schülerschaft an der Integration zu beteiligen, wäre die Aufgabe eines Dolmetschers. Schülerinnen und Schüler, die über Sprachkenntnisse der Muttersprachen der zugewanderten Schülerinnen und Schüler verfügen, könnten den Zugang zur deutschen Sprache erleichtern. Ihr Einsatz bliebe nicht nur auf den unterrichtlichen Kontext beschränkt. Auch im sozialen Bereich, z.B. auf dem Pausenhof oder bei AGs, vor allem aber im Umgang mit Eltern, wären diese Schülerinnen und Schüler eine große Unterstützung.
Als Anreiz für die Schülerinnen und Schüler sich als Pate oder Dolmetscher am Integrationsprozess zu beteiligen, besteht beispielsweise die Möglichkeit einer positiven Zeugnisbemerkung. Ein weiterer Vorteil für die Schülerschaft liegt sicherlich im kulturellen Austausch mit den zugewanderten Schülerinnen und Schülern. Hier bieten sich auch zahlreiche Möglichkeiten zu gemeinsamen Projekten oder Exkursionen.
Neben der Schülerschaft spielt auch das Lehrerkollegium eine wesentliche Rolle bei der Integration. Die Verantwortung liegt nicht allein bei der Leitung des I-Kurses. Zum Beispiel bei der Übernahme von Schülerinnen und Schülern des I-Kurses in eine Regelklasse ist ein regelmäßiger Austausch von großer Bedeutung. Bei jeder Schülerin und jedem Schüler muss individuell entschieden werden, ob man ihr oder ihm den Übergang in ein anderes Fach oder letztlich auch komplett in den Regelunterricht zutraut, oder ob es noch zu große sprachliche Defizite gibt. Eine Entscheidung sollte gegebenenfalls von der Klassenkonferenz getroffen werden.
Die unterrichtenden Lehrer sollten sich für die Sprache Deutsch und die Sprachen der zugewanderten Schülerinnen und Schüler interessieren und sich mit grundlegenden Unterschieden und formalen Strukturen ansatzweise beschäftigen. Erste Anlauf- und Beratungsstelle ist hierbei die Leitung des I-Kurses. Auch das Material, welches den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung gestellt werden soll, sollte zunächst von der jeweiligen Fachkonferenz begutachtet und gegebenenfalls modifiziert werden. Auch dies ist ein Prozess, der sich gut und einfach evaluieren und deshalb in den folgenden Jahren problemlos weiterentwickeln lassen könnte.
Unterstützung bei der Umsetzung der Vermittlung von Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache kann das Kollegium beispielsweise durch das Kompetenzteam Viersen erhalten. Diese bieten neben Fortbildungen für einzelne speziell geschulte Lehrkräfte auch Fortbildungen für ganze Kollegien an. Ziel dieser Veranstaltungen ist nicht nur die Beratung und Aufklärung der Kollegien über das Fach und die damit verbundene Thematik, sondern auch das Abbauen von möglicherweise vorhandenen Vorurteilen und Ängsten.
Eine Bewertung der Schülerinnen und Schüler innerhalb des I-Kurses findet nicht durch eine Zeugnisnote statt. Die Schülerinnen und Schüler erhalten am Ende eines jeden Schulhalbjahres eine detaillierte Beschreibung seines aktuellen Leistungsstandes, sowohl im Unterricht Deutsch als Fremdsprache im I-Kurs, als auch in den anderen Fächern, an welchen er bereits teilnimmt. Bei Fach Deutsch als Zweitsprache werden drei verschiedene Kompetenzen beurteilt: Verstehen, Sprechen sowie Lesen und Schreiben. In allen drei Punkten erfolgt eine verbale Beurteilung einschließlich Aussagen zur Lernentwicklung unter Vermeidung von Notenbegriffen (z.B. gut), damit es zu keiner Verwechslung mit Noten (z.B. gut = 2) kommt (siehe BASS 13-21 Nr. 1.1/Nr. 1.2).
Noten bekommen die Schülerinnen und Schüler allerdings für schriftliche Leistungen, wie zum Beispiel Tests, Aufsätze oder Diktate. Dies dient vor allem der Orientierung und erleichtert den Übergang in die nicht bewertungsfreien Unterrichtsfächer. Schülerinnen und Schüler, die während ihrer Ausbildung im I-Kurs bereits an anderen Fächern teilnehmen, können in diesen bereits Noten bekommen.
Über die Übernahme einer Schülerin oder eines Schülers in eine Regelklasse entscheiden Klassenleitung und die Leitung des I-Kurses in Absprache mit der Schulleitung. Bei Minderleistungen der Schülerinnen und Schüler, die sich auf sprachliche Defizite zurückführen lassen, ist es möglich diese erneut für eine gewisse Zeit im I-Kurs zu unterrichten.
Ein weiterer wichtiger Baustein für eine gelungene Integration ist eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern. Viele pädagogisch Verantwortliche bedrängen die Eltern dieser Schülerinnen und Schüler künftig vermehrt, eventuell sogar ausschließlich Deutsch mit ihren Kindern zu sprechen, damit sie auch die deutsche Sprache erlernen und sprechen können. Diese Ratschläge und Vorschläge sind äußerst problematisch für die weitere Entwicklung der zugewanderten Schülerinnen und Schüler. Dabei wird häufig übersehen, dass die Erstsprache und damit die eigene Muttersprache nicht oder nur wenig beachtet wird. Diese ist allerdings zu einem festen Bestandteil ihrer Identität und ihres Bewusstseins geworden. Die Schülerinnen und Schüler würden unter einer Verdrängung ihrer Muttersprache leiden, was eine soziale Integration erheblich erschweren könnte.
Die Erfahrungen der letzten Jahre im Umgang mit zugewanderten Schülerinnen und Schülern und die Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung machen deutlich, dass die Beherrschung der Erstsprache ein wichtiges Fundament für den Erwerb einer weiteren Sprache ist. Je sicherer die Kinder ihre Muttersprache beherrschen, umso besser erlernen sie Deutsch als Zweitsprache. Hier setzt eine gute Elternarbeit an. Die Eltern können die Schülerinnen und Schüler bei der Vertiefung und Festigung ihrer Muttersprache unterstützen.
Eltern sind gleichberechtigte Verbündete und Partner in Sachen Erziehung, Bildung und Lernen. Die Eltern müssen erkennen, dass die Lehrkräfte sich mit ihnen auf die gleiche Stufe stellen und sie nicht von oben herab betrachten. Gewinnen die Eltern Vertrauen, dann werden sie sich eher öffnen und sind zu einer gewinnbringenden Zusammenarbeit bereit.
Die Eltern müssen über das deutsche Bildungssystem informiert werden und die Chancen, die Anforderungen und die Besonderheiten der Übergänge kennen. Dies kann beispielsweise durch spezielle in der jeweiligen Landessprache verfassten Flyer und Informationsbroschüren des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen oder des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erfolgen.
Wichtig sind hierbei auch spezielle Elternabende, Elternsprechstunden und Elternbriefe, die die Eltern ausreichend informieren. Möglichkeiten die Eltern zu entlasten bieten z.B. Willkommensbriefe mit Grundregeln der Schule, Adressen und wichtigen Telefonnummern, eine Materialliste, das Anlegen einer Eltern-Lehrer-Kommunikationsmappe, ein Formular für Entschuldigungen und „Sprachtische“ bei Elternabenden mit simultan übersetzenden anderen Eltern.
Eine genaue Kenntnis der familiären Situation allgemein und speziell die aktuelle Sprachsituation sind wichtig, um weitere Überlegungen der gegenseitigen Hilfe folgen zu lassen. Ein Angebot zur Integration und sprachlichen Förderung von zugewanderten Eltern bieten zahlreiche Institutionen im Kreis Viersen und Umgebung (siehe Ansprechpartner für Eltern).